Disney-Serie 'Deutsches Haus': Gegen das Schweigen anschreien: |
14.11.2023 07:55:00 |
FRANKFURT (dpa-AFX) - Gerichts-Übersetzerin Eva (Katharina Stark)
kann Polnisch, doch das Vokabular des unvorstellbaren Grauens muss
sie erst langsam lernen. "An diesem Tag - es war warm oder schwül -
da sollten wir alle Fenster schmücken, alle Fenster der Herberge mit
der Nummer 11", überträgt sie Aussagen eines KZ-Überlebenden naiv.
"Dann führten sie die 850 sowjetischen Gäste in den Keller der
Herberge hinab. Sie warteten die Dunkelheit ab, damit sie das Licht
besser sehen konnten. Dann warfen sie das Licht durch den Keller in
die Lüftungsschächte und schlossen die Türen. Am nächsten Morgen
öffneten sie die Türen wieder. Wir mussten als Erste hineingehen.
Die meisten der Gäste waren erleuchtet." Im zweiten Anlauf schlägt
die junge Frau hektisch andere Bedeutungen nach: "Es heißt nicht
Gäste, sondern Häftlinge. Keine Herberge, sondern ein Block. Und
kein Licht, kein Erleuchten." Die Häftlinge in Auschwitz waren
erstickt, durch Gas. Die Serie "Deutsches Haus" auf Disney+
schont Zuschauer nicht.
Der Fünfteiler (Start 15. November) ist keine Holocaust-Serie im
engeren Sinne. "Deutsches Haus" nach dem Bestseller von Annette Hess
("Ku'damm 63") rollt die Geschehnisse anhand der Frankfurter
Auschwitz-Prozesse der 1960er Jahre gegen ranghohe NS-Täter auf.
Im Mittelpunkt steht die Familie von Eva Bruhns, ihren Eltern Edith
(Anke Engelke) und Ludwig (Hans-Jochen Wagner) sowie ihrer älteren
Schwester Annegret. Eva ist im Krieg geboren worden und hat keine
Erinnerungen an ihre frühe Kindheit unter der Nazi-Herrschaft.
Das Leiden jüdischer Menschen in den deutschen Lagern war für ihren
Jahrgang nie Thema. Nicht in der Schule, erst recht nicht bei ihren
Eltern, zwei Gastronomen. Doch nach und nach entdeckt Eva, dass ihre
Eltern Teil einer großen Maschinerie waren. Und sie begreift, was
die dunkle Rauchsäule auf Kinderbildern ihrer Schwester zu bedeuten
hat.
Disney hat mit dieser Streamingserie ein Projekt aufgegriffen, das
man dem US-Konzern nicht sofort zutrauen würde. Die Darstellerriege
ist erstklassig. Anke Engelke beweist ein weiteres Mal ihr Geschick
für ernste, ja abgründige Rollen. Heiner Lauterbach gibt den
pedantischen Lageraufseher mit dunkler Verve. Henry Hübchen
überzeugt als NS-Verfolgter. Iris Berben absolvierte einen so
überzeugenden Auftritt als Holocaust-Überlebende Rachel Cohen, dass
am Set viele aus der Crew nach der Szene spontan in Tränen
ausbrachen. Abwechselnd schreit sie die leugnenden Angeklagten
verzweifelt an: "Du hast nichts gewusst. Du hast nichts gewusst. Und
Du nicht. Alle habt Ihr nichts gewusst. Du hast auch nichts gewusst
von den Vergasungen."
Ein besonderer Glücksgriff ist Katharina Stark in ihrer ersten
großen Hauptrolle. Sie habe großes Lampenfieber gehabt, sagt sie:
"Auch weil das Thema einfach so wichtig ist und es wichtig war, da
die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sich dem Thema möglichst so
zu nähern, dass man irgendwie einen Beitrag schafft." Die 25-Jährige
lernte für die Rolle eigens Polnisch. Sie könne zwar noch nicht
völlig fließend sprechen. "Aber ich habe eine Coachin zur Seite
gestellt bekommen in Polen und das dann dort gelernt." Sie habe mit
Zungenbrechern zu kämpfen gehabt. "Aber Zungenbrecher waren auch so
ein bisschen mein Hobby." Ihre Großmutter, die etwa dem Alter der
Hauptfigur Eva entspricht, habe mit ihr viel über diese Zeit
gesprochen, ihr auch passende Kleidung fürs Casting
zusammengestellt, sagte Stark.
Mit großer Überzeugungskraft stellt die Jung-Schauspielerin eine
Frau aus einer Generation dar, die Fragen zu stellen beginnt. In
einer Zeit, in der ein dröhnendes Schweigen über die Vergangenheit
herrscht.
Berben über diese Jahre: "Das ist mir sehr bewusst, dieses
Schweigen. Ich bin 1950 geboren. Also bin ich in einer Zeit
großgeworden, in der das Schweigen wirklich fassbar, hörbar, sehbar
war. Man wollte nicht reden. Man wollte auch in der Schule nicht
reden. Auch im Geschichtsunterricht ist die Thematik wirklich
ausgeklammert worden."
Autorin Hess sagt über das Projekt: "Die Serie wirbt für Humanismus,
Zivilcourage und Aufrichtigkeit dem eigenen Handeln gegenüber. Wir
zeigen, wohin Rassismus und Antisemitismus im schlimmsten Fall
führen können." In diesem Zusammenhang finde sie es wichtig zu
betonen, dass die Menschen vor 80 Jahren "weder schlauer noch dümmer
als heute" waren. Der Mensch sei letztlich immer gleich
unzulänglich, beeinflussbar und oft angstgetrieben. "Das Lernen aus
der Geschichte, das ist ein Effekt, der sich verliert über die
Generationen", sagt Hess./bok/DP/zb
ISIN US2546871060
AXC0084 2023-11-14/07:55
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Autor: - dpa-AFX
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