ROUNDUP 4: 'Wirtschaftsweise' streiten über Grimms Aufsichtsratsposten |
21.02.2024 21:15:00 |
(neu: "Wirtschaftsweiser" Truger im 8. Absatz)
BERLIN (dpa-AFX) - Keine vier Jahre ist es her, dass der
Sachverständigenrat zur Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung
zwei Frauen in seinen erlauchten Kreis aufgenommen hat. Monika
Schnitzer, Professorin aus München und ältere sowie höher dekorierte
der beiden Frauen, wurde zwei Jahre später sogar zur ersten
weiblichen Vorsitzenden des wichtigen Beratergremiums der
Bundesregierung, der sogenannten Wirtschaftsweisen, ernannt. Doch
Schlagzeilen macht vor allem eine: Veronika Grimm.
Zwischen Grimm auf der einen und Schnitzer sowie den drei anderen
Mitgliedern des Sachverständigenrates Achim Truger, Ulrike
Malmendier und Martin Werding ist es jetzt zum offenen Streit
gekommen. Grimm, versierte Expertin auf dem Gebiet der
Energiepolitik, möchte in der nächsten Woche ein Aufsichtsratsmandat
beim Energiekonzern Siemens Energy antreten.
Die anderen vier "Wirtschaftsweisen" sehen darin einen unlösbaren
Interessenkonflikt und fordern Grimm auf, entweder auf das Mandat
bei Siemens Energy oder auf ihren Posten im
Sachverständigenrat zu verzichten. Die anstehende
Energietransformation sei von "herausragender wirtschaftlicher und
wirtschaftspolitischer Bedeutung". In der Ratsarbeit sei die
Expertise von Veronika Grimm daher von großem Wert. Es komme hinzu,
dass die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Themen der
Rechtstreue (Compliance) zugenommen habe.
Tatsächlich gibt es unterschiedliche Auffassungen über die
Vereinbarkeit eines Aufsichtsratspostens bei Siemens Energy und der
Tätigkeit bei den "Wirtschaftsweisen". Die Organisation Lobbycontrol
sieht einen Interessenkonflikt. "Wer die Bundesregierung in
gesamtwirtschaftlichen Fragen berät, sollte nicht von einem
Großunternehmen bezahlt werden und in dessen Gremien sitzen",
betonte der Verein.
Erstmals Dissonanzen wegen Aufsichtsratsmandat
Das Vorgehen ist ein Novum für das Gremium. Schon früher waren
einzelne Mitglieder in Aufsichtsposten bei deutschen
Aktiengesellschaften aktiv. Doch nie hatte es öffentliche
Dissonanzen deswegen gegeben. "Ich habe das im Vorfeld prüfen lassen
- die rechtliche Situation ist eindeutig", sagte Grimm der Deutschen
Presse-Agentur. Die Kolleginnen und Kollegen im Rat seien umgehend
informiert worden.
Der "Welt" sagte Grimm: "Es ist aus gutem Grund nicht vorgesehen,
dass die Politik Mitglieder des Sachverständigenrates während ihrer
Amtszeit abberuft: damit dieses Gremium unabhängig beraten kann und
eben nicht unter dem Druck steht, nur eine bestimmte, gewünschte
Meinung zum Ausdruck zu bringen. Die Unabhängigkeit des
Sachverständigenrates ist mit dem Anliegen, mich aus dem Amt zu
drängen, nicht vereinbar." Grimms Mandat reicht bis 2027.
Schnitzer sagte dem "Handelsblatt" (Donnerstag), das wichtigste Gut
des Sachverständigenrates sei die Unabhängigkeit: "Gleichzeitig bei
einem Unternehmen tätig zu sein, das derart abhängig von der
Regierung ist, das kann nicht funktionieren." Zum Vorwurf, sie wolle
nur aus politischem Kalkül eine Gegnerin loswerden, sagte Schnitzer:
"Was für ein Unsinn." Es wäre ihr lieber, wenn Grimm im Rat bliebe,
als in den Aufsichtsrat zu gehen.
Der "Wirtschaftsweise" Truger nannte es "Schwachsinn, dass jetzt
behauptet wird, es gehe um persönliche Rivalitäten oder darum, eine
missliebige Kritikerin der rot-grün geprägten Regierungspolitik"
loszuwerden. "Es geht um den Interessenkonflikt, den wir intern
mehrfach besprochen haben. Es ist uns wirklich ernst damit, dass wir
hier ein Problem sehen", sagte er "stern" und "Capital". Nach seinen
Worten ist "offensichtliches problematisch, wenn jemand in einem
Gremium die Bundesregierung in der Transformationspolitik berät und
im Aufsichtsrat eines Unternehmens ist, das ein wesentlicher Player
der Transformation ist".
Das Gremium soll sich zunächst schriftlich an den Aufsichtsratschef
von Siemens Energy, Joe Kaeser, gewandt haben. Später gab es dann
eine E-Mail an Grimm mit der Aufforderung zum Verzicht - mit Kopie
an die Bundesminister Christian Lindner (FDP, Finanzen), Robert
Habeck (Grüne, Wirtschaft) sowie Kanzleramtsminister Wolfgang
Schmidt (SPD). Zuerst hatte das "Handelsblatt" berichtet.
Opposition sieht Angriff auf kritische Ökonomin
Auch der Compliance-Experte Professor Christian Strenger hält Grimms
Wahl in den Aufsichtsrat für problematisch. Kaeser müsse als
Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens Energy klären, ob durch die
geplante Berufung die Gefahr von Interessenkonflikten entstehe,
hatte er der "Welt" schon vor einiger Zeit gesagt. Das Unternehmen
wird von der unter anderem durch Grimm beratenen Bundesregierung mit
einer Milliardenbürgschaft gestützt - was die Lage nach Einschätzung
der Grimm-Kritiker nicht entspannt.
Unterstützung kommt von FDP und Union. Der wirtschaftspolitische
Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Reinhard Houben sagte: "Aus dem
Aufsichtsratsmandat von Frau Grimm bei Siemens Energy einen
Interessenkonflikt zu konstruieren, ist perfide." Der Vorgang habe
das Potenzial, die Reputation des Gremiums der "Wirtschaftsweisen"
und deren Mitglieder irreparabel zu beschädigen. Seine Kollegin
Julia Klöckner von der CDU/CSU-Fraktion ging einen Schritt weiter:
"Es scheint, als wolle man, auch von Regierungsseite, eine kritische
Stimme loswerden, weil Frau Prof. Grimm nicht auf Linie ist."
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, der
Sachverständigenrat sei ein unabhängiges Gremium. Konkret wollte er
sich nicht äußern zum Fall Grimm. Generell sagte Habeck, das Gesetz
sehe keine Ausschlussregeln bei Interessenkonflikten vor, dennoch
sollten solche vermieden werden. Der Sachverständigenrat werde klug
genug seien, dass Interessenkonflikte gelöst werden.
Lukrativer Posten für bekannte Professorin
Nach derzeitiger Regelung erhält ein ordentliches
Aufsichtsratsmitglied bei Siemens Energy eine Grundvergütung von 120
000 Euro pro Jahr, hinzu kommen Sitzungsgelder und gegebenenfalls
Vergütungen für Ausschussarbeiten, was sich auf weitere mehrere
Zehntausend Euro summieren kann.
Grimm unterscheidet sich von anderen Mitgliedern des
Expertengremiums der "Wirtschaftsweisen durch eine große Präsenz in
der Öffentlichkeit. Als begehrte Gesprächspartnerin in vielen
Talkshows, dezidiert sprechfähig zu fast allen Themen rund um die
Ökonomie in Deutschland, wurde Grimm in den vergangenen Jahren zu so
etwas wie dem Gesicht der "Wirtschaftsweisen" - ohne jedoch
Vorsitzende zu sein. Schnitzer blieb in der öffentlichen Wahrnehmung
dahinter zurück. Hinzu kommt, dass Grimm bekannt dafür ist, kein
Blatt vor den Mund zu nehmen.
So hatte sie sich in der Vergangenheit etwa konträr zur Linie der
Bundesregierung dafür ausgesprochen, die damals noch aktiven
deutschen Atomkraftwerke über mehrere Jahre weiterzubetreiben. Einer
möglichen Lockerung der Schuldenbremse steht sie skeptisch
gegenüber, auch beim Klimageld zählte sie die Bundesregierung an.
Andererseits ist die Wasserstoff-Expertin Grimm auch für Umwelt- und
Klimaschutz-Themen offen.
Schnitzer hatte dagegen zuletzt häufig Kritik von der Union
einstecken müssen, etwa als sie vorschlug, die Witwenrente
abzuschaffen. Entgegen der Position der FDP pochte sie auf eine
Reform der Schuldenbremse.
Zuletzt hatte Grimm Schlagzeilen gemacht, als sie den Wechsel von
ihrer angestammten Hochschule, der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen, an die neu gegründete TU Nürnberg bekannt gab - an dem
Prestigeprojekt in der Heimatstadt von Bayerns Ministerpräsident
Markus Söder (CSU) gehört Grimm zu den ersten
Professorinnen./dm/DP/he
ISIN DE000ENER6Y0
AXC0335 2024-02-21/21:15
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Autor: - dpa-AFX
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