GESAMT-ROUNDUP 2: Deutsch-Russen sollen spioniert haben; Botschafter einbestellt |
18.04.2024 17:09:00 |
BAYREUTH/KARLSRUHE (dpa-AFX) - Ein neuer Fall mutmaßlicher
russischer Spionage schlägt hohe Wellen - auch in der Politik. In
Bayern hat die Polizei zwei Männer festgenommen, die für Moskau
mögliche Anschlagsziele in Deutschland ausgekundschaftet haben
sollen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ließ am Donnerstag
den russischen Botschafter einbestellen.
Den beiden Russlanddeutschen, die von Beamten des
Bundeskriminalamtes an zwei unterschiedlichen Orten im Raum Bayreuth
abgeholt wurden, ging es nach Angaben des Generalbundesanwalts um
Sabotageaktionen. Diese sollten insbesondere dazu dienen, "die aus
Deutschland der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg
geleistete militärische Unterstützung zu unterminieren". Über den
Fall hatte zuerst "Der Spiegel" berichtet.
Die Beschuldigten seien dringend verdächtig, in einem besonders
schweren Fall für einen ausländischen Geheimdienst tätig gewesen zu
sein, teilte der Generalbundesanwalt mit. Dem Älteren der beiden am
Mittwoch Festgenommenen, Dieter S., wird auch die Verabredung zur
Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und zur Brandstiftung sowie
Agententätigkeit zu Sabotagezwecken und sicherheitsgefährdendes
Abbilden militärischer Anlagen vorgeworfen.
Die in Russland geborenen Männer haben den Angaben zufolge beide die
deutsche und die russische Staatsbürgerschaft. Ermittler
durchsuchten ihre Wohn- und Arbeitsorte.
Konkret soll sich Dieter S. mit jemandem, der mit einem russischen
Geheimdienst in Verbindung steht, seit mindestens vergangenem
Oktober über mögliche Sabotageaktionen ausgetauscht haben. Er soll
sich bereiterklärt haben, Sprengstoff- und Brandanschläge vor allem
auf militärisch genutzte Infrastruktur und Industriestandorte in
Deutschland zu begehen. Dieter S. sammelte dem Generalbundesanwalt
zufolge Informationen über potenzielle Anschlagsziele, darunter auch
Einrichtungen der US-Streitkräfte. Der zweite Beschuldigte,
Alexander J., half ihm demnach spätestens seit diesem März.
Zu den ausgekundschafteten Orten, über die auch der "Spiegel"
berichtet hatte, gehören nach Informationen der Deutschen
Presse-Agentur der US-Stützpunkt Grafenwöhr sowie andere
militärische Einrichtungen in Bayern. Einige der ins Visier
genommenen Objekte soll Dieter S. vor Ort ausgespäht und
fotografiert haben, etwa Militärtransporte. Ein Angriff auf eines
der Objekte soll aber dem Vernehmen nach nicht unmittelbar
bevorgestanden haben. Ob Dieter S. bei seinen Erkundungen womöglich
auch eine kleine Drohne einsetzte, muss noch geklärt werden.
Für ihn ordnete ein Ermittlungsrichter am Mittwoch Untersuchungshaft
an. Der Haftbefehl gegen J. wurde am Donnerstag in Vollzug gesetzt.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ließ nach der Festnahme
den russischen Botschafter einbestellen. Ein Sprecher des
Auswärtigen Amtes bestätigte einen entsprechenden Bericht der
"Bild"-Zeitung. "Der Verdacht, dass Putin bei uns Agenten anwirbt,
um Anschläge auf deutschem Boden zu verüben, ist extrem
schwerwiegend", schrieb die Ministerin auf der Plattform X. Die
Bundesregierung werde nicht zulassen, dass der russische Präsident
"seinen Terror nach Deutschland trägt". Das sei dem Botschafter am
Donnerstag mitgeteilt worden.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte: "Wir wissen, dass
der russische Machtapparat auch unser Land in den Fokus nimmt." Auf
diese Bedrohung müsse Deutschland wehrhaft und entschlossen
reagieren.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem besonders
schweren Fall der mutmaßlichen Agententätigkeit für Russland. "Wir
werden die Ukraine weiter massiv unterstützen und uns nicht
einschüchtern lassen", versicherte sie.
Dieter S. steht laut Generalbundesanwalt zudem im dringenden
Verdacht, sich als Kämpfer einer bewaffneten Einheit der als
ausländische terroristische Vereinigung eingestuften "Volksrepublik
Donezk" angeschlossen zu haben. Er soll zwischen Dezember 2014 und
September 2016 in der Ostukraine für diese prorussische Vereinigung
aktiv gewesen sein und über eine Schusswaffe verfügt haben. 2014
hatten sich moskautreue Separatisten nach dem Sturz des
russlandfreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch von Kiew
losgesagt. Die neue prowestliche Führung in Kiew hatte danach mit
einem Militäreinsatz vergeblich versucht, die Kontrolle über Donezk
und andere Ortschaften im Donbass zurückzuerlangen.
Es ist nicht der erste mutmaßliche Spionagefall, der die
Bundesanwaltschaft beschäftigt. Anders als bei den bereits zuvor
aufgedeckten Fällen, waren die beiden nun festgenommenen
Beschuldigten nicht in einem sicherheitsrelevanten Bereich
beschäftigt:
- In Berlin steht aktuell ein ehemaliger Mitarbeiter des
Bundesnachrichtendiensts (BND) vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft
wirft ihm und einem Geschäftsmann Landesverrat in besonders schwerem
Fall vor. Sie sollen im September und Oktober 2022 geheime Dokumente
und Informationen aus dem deutschen Auslandsnachrichtendienst an den
russischen Inlandsgeheimdienst FSB gegeben haben. Dafür sollen sie
laut Anklage einen "Agentenlohn" von 450 000 Euro beziehungsweise
400 000 Euro bekommen haben. Die beiden Deutschen sitzen in
Untersuchungshaft.
- Im vergangenen August war in Koblenz ein Berufssoldat festgenommen
worden, der beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und
Nutzung der Bundeswehr arbeitete. Die Einrichtung ist zuständig für
die Ausstattung der Bundeswehr mit Material und Waffen sowie die
Entwicklung, Erprobung und Beschaffung von Wehrtechnik. Ab Mai 2023
soll der Mann mehrfach dem russischen Generalkonsulat in Bonn und
der russischen Botschaft in Berlin eine Zusammenarbeit angeboten
haben.
- Die Bundeswehr stellt seit Beginn des russischen Angriffskriegs
gegen die Ukraine an ihren Standorten vermehrt Drohnenüberflüge
fest. Aktenkundig wurden unter anderem Verdachtsfälle im bayerischen
Wildflecken, in Grafenwöhr und im rheinland-pfälzischen
Idar-Oberstein sowie am Truppenübungsplatz Altengrabow in
Sachsen-Anhalt.
"Es bleibt dringend notwendig, Hinweise auf verschiedene Operationen
zusammenzuführen, die ganzheitliche Strategie dahinter zu erkennen
und sich daraus ergebende Muster zu analysieren, um sich dagegen
wehrhaft aufzustellen und zu behaupten", sagte der
Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz (Grüne). Er ist
Vorsitzender des geheim tagenden Bundestagsgremiums zur Kontrolle
der Geheimdienste und forderte: "Deutschland muss sich zukünftig
deutlich robuster, resilienter und wehrhafter aufstellen."
Auch der Grünen-Vorsitzende, Omid Nouripour, fragt sich, ob hier
genug getan wird. "Die im Raum stehenden Vorwürfe sind ein erneutes
Zeichen dafür, wie tief russische Agentennetzwerke in Deutschland
verwurzelt sind und wie langfristig Planungen erfolgen", sagt der
Co-Vorsitzende. Es sei daher dringend geboten, die Spionageabwehr
stärker in den Blick zu nehmen und Polizei und Nachrichtendienste
für diese Aufgabe zu rüsten./abc/DP/stw
AXC0300 2024-04-18/17:09
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Autor: - dpa-AFX
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