WDH/ROUNDUP/Streber und Klassenletzter: Schafft Lindner die Wirtschaftswende? |
18.04.2024 17:34:00 |
(technische Wiederholung)
WASHINGTON (dpa-AFX) - Eigentlich kann Christian Lindner nicht
gefallen, was der Internationale Währungsfonds für die Entwicklung
der deutschen Wirtschaft vorhersagt: Unter den führenden westlichen
Industrienationen ist Deutschland beim Wachstum Klassenletzter.
"Just a hangover", beschwichtigt der deutsche Finanzminister in
diesen Tagen bei der IWF-Frühjahrstagung in Washington. "Nur ein
Kater." Lindners Laune ist nicht so schlecht, wie die Zahlen
vermuten lassen. Denn man könnte sie auch als Argumentationshilfe
verstehen für das, was der FDP-Chef seit Wochen propagiert:
Deutschland brauche eine Wirtschaftswende.
"Wir fühlen uns hier auf einer Linie mit den Empfehlungen des
Internationalen Währungsfonds", sagt Lindner. Die Experten raten
unter anderem zu Reformen auf dem Arbeitsmarkt. Vielen Staaten
empfehlen sie, Defizite zu verringern und ihre Haushalte zu
konsolidieren. Doch da hat der IWF nicht unbedingt Deutschland im
Blick.
Denn so schlecht die Bundesrepublik beim Wirtschaftswachstum auch
dasteht, so sehr ist sie beim Schuldenstand der Streber. Andere
große Staaten - die USA, China - haben zwar mehr Wachstum, aber auch
Schuldenquoten von mehr als 100 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die
deutsche liegt bei 64 Prozent, Tendenz sinkend. Die Reaktion des IWF
in Washington klingt ähnlich wie die Plädoyers von Lindners
Koalitionspartnern SPD und Grüne zuhause: Deutschland könne es sich
leisten, mehr Schulden zu machen, um damit die Wirtschaft
anzukurbeln.
Für den Parteichef kommt das nicht infrage. In Deutschland gebe es
keinen Mangel an öffentlichem Geld, sondern es fehle Produktivität,
analysiert er. Bundesbank-Chef Joachim Nagel pflichtet dem
Finanzminister bei: Größere Spielräume in der Schuldenbremse könne
er sich allenfalls vorstellen, wenn die deutsche Schuldenquote unter
die Maastricht-Vorgaben von 60 Prozent gesunken sei.
Lindner stellt sich etwas anderes vor, wenn er von einer
"Wirtschaftswende" spricht: Er ist der Meinung, dass in Deutschland
zu wenig gearbeitet wird. Das Problem der deutschen Wirtschaft sei
ein Defizit an geleisteten Arbeitsstunden im Jahr. "In Italien, in
Frankreich und anderswo wird deutlich mehr gearbeitet als bei uns."
Das liege an Regelungen zur Arbeitszeitverkürzung, der Demografie
und auch an ungewollter Teilzeit wegen mangelnder
Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Vorgeschlagen hat Lindner unter anderem, eine begrenzte Zahl von
Überstunden für Vollzeitbeschäftigte steuerfrei zu stellen. Das soll
"Lust auf Überstunden" machen. Ausländische Fachkräfte könnten mit
einem Steuerrabatt angelockt werden. Diese Vorschläge hat Lindner
dem Vernehmen nach Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister
Robert Habeck (Grüne) vorgelegt. Auch bei der Rente sieht der
Finanzminister Reformbedarf.
Wie Kanzler und Vizekanzler reagierten, ist nicht bekannt. Was
Lindner von Habecks früherem Vorstoß zu einem schuldenfinanzierten
Sondervermögen für mehr Subventionen zugunsten der Wirtschaft hält,
dagegen schon. In der innenpolitischen Debatte wünschten sich viele
ein Subventionsprogramm ähnlich des IRA (Inflation Reduction Act) in
den USA, sagt er in Washington. Doch diese Maßnahmen hätten genau
das nicht erreicht: die Inflation zu verringern. "Sondern im
Gegenteil: Unter Inkaufnahme hoher öffentlicher Defizite wurden die
Preise eher noch angeheizt durch die staatlichen Subventionen."
Viele der von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen für eine
"Wirtschaftswende" kosteten dagegen kein Geld, sondern sparten Geld
im Staatshaushalt und in den Sozialversicherungssystemen,
argumentiert Lindner. "Wenn Menschen arbeiten oder mehr arbeiten,
zahlen sie schließlich höhere Steuern und Sozialabgaben und beziehen
weniger soziale Transfers." Mit den eingesparten Milliarden ließen
sich Steuerentlastungen für die Wirtschaft finanzieren. Lindner
schweben bessere Abschreibungsmöglichkeiten vor und ein Abbau des
Solidaritätszuschlags, den im Moment die oberen zehn Prozent der
Steuerzahler, darunter viele Firmen, zahlen.
Spätestens am 3. Juli, wenn der Haushalt für das kommende Jahr im
Kabinett sein soll, soll auch die "Wirtschaftswende" stehen. Ob die
bislang im Raum stehenden Ideen tatsächlich der Befreiungsschlag
sind, wird bezweifelt. Das wäre kurz vor einer Bundestagswahl
besonders für die FDP entscheidend. Denn mit keiner Partei der
Ampel-Koalition gehen Probleme der Wirtschaft so sehr nach Hause wie
mit ihr - paradoxerweise, ist doch der Wirtschaftsminister von den
Grünen, die von der negativen Stimmung wenig spüren./tam/DP/he
AXC0304 2024-04-18/17:34
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Autor: - dpa-AFX
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