ROUNDUP: Zum Jahrestag des Massakers steht der Nahe Osten am Abgrund |
06.10.2024 16:12:00 |
TEL AVIV/GAZA/BEIRUT (dpa-AFX) - Zum ersten Jahrestag des
Terrorüberfalls auf Israel am 7. Oktober mit 1.200 Toten wächst die
Sorge vor einem Flächenbrand im Nahen Osten. Ungeachtet aller
Aufrufe zu einer Waffenpause startete Israel eine neue
Bodenoffensive im Norden des Gazastreifens. Die Bilder von Panzern,
die durch sandiges Gelände rollen, gleichen denen vom Anfang des
Krieges im vergangenen Oktober.
Israel führt nach eigenen Angaben einen Mehrfrontenkrieg gegen die
Hamas im Gazastreifen, die Hisbollah im Libanon sowie gegen
ebenfalls mit dem Iran verbündeten Milizen in Syrien, im Irak und im
Jemen. Die größte Gefahr birgt jedoch eine Eskalation mit dem Iran.
Nach dem Raketenangriff des Irans am vergangenen Dienstag hat Israel
eine "bedeutende Antwort" angekündigt. Offen blieb nur wann, wo und
wie. Der Iran drohte für diesen Fall schon eine "wesentlich härtere"
Reaktion als in der vergangenen Woche an.
Alles begann mit einem Überraschungsangriff der Hamas am frühen
Morgen des 7. Oktobers vergangenen Jahres. Es war das schlimmste
Blutbad unter israelischen Zivilisten an einem Tag seit dem
Unabhängigkeitskrieg 1948. Tausende Bewaffnete der Hamas und andere
Extremisten aus dem Gazastreifen durchbrachen damals die als
unüberwindbar geltende israelische Sperranlage zu dem Küstengebiet.
Für Israel war Massaker ein schwerer Schock
Am jüdischen Feiertag Simchat Tora (Freude der Tora) wurden in
israelischen Ortschaften in der Nähe des Gazastreifens Frauen,
Männer, Kinder und Alte umgebracht. Überlebende berichteten von
grausamer Gewalt, Vergewaltigungen und Verstümmelungen. Zahlreiche
Opfer waren junge Teilnehmer eines Festivals in der Negev-Wüste. Für
die israelische Gesellschaft war das ein großer Schock, der bis
heute nachwirkt. Die Frage, wie die hochgerüstete Armee komplett
überrumpelt werden konnte, will Ministerpräsident Benjamin Netanjahu
erst nach dem Krieg aufarbeiten lassen.
Israel ist durch das harte Vorgehen und die hohe Zahl an Todesopfern
bei seinem Militäreinsatz im Gazastreifen und nun auch im Libanon
international in die Kritik geraten. In dem Küstengebiet starben
seit dem 7. Oktober nach Angaben der von der Hamas kontrollierten
Gesundheitsbehörde rund 42.000 Menschen, etwa ein Drittel davon
Kinder und Jugendliche. Die Behörde differenziert nicht zwischen
Bewaffneten und Zivilisten. Die UN haben diese Angaben als glaubhaft
eingestuft.
Israel hat Kriegsziele bisher nicht erreicht
Zudem liegen nach UN-Angaben große Teile des Gazastreifens in Schutt
und Asche. Dennoch hat Netanjahu die vorgegebenen Kriegsziele nicht
erreicht, die Hamas zu zerstören und die mehr als 100 Geiseln
zurückzuholen. Israel wirft der Hamas vor, in Wohngebieten,
Krankenhäusern, Schulgebäuden und Moscheen zu operieren und
Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu nehmen. Vor dem
Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag läuft eine von
Südafrika angestrengte Völkermord-Klage gegen Israel.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) rief erneut alle
Beteiligten zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts auf. Die
Würde der Menschen müsse geachtet werden. "Sie sind mit Rechten
ausgestattet und sie haben Anspruch auf Schutz, humanitäre Hilfe und
die Möglichkeit, in Sicherheit ein neues Leben aufzubauen", so das
IKRK.
Israel gedenkt der Opfer des Terrorüberfalls
In Israel sind für den Jahrestag des Massakers am Montag zahlreiche
Gedenkveranstaltungen geplant, bei denen vor allem der israelischen
Opfer und der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gedacht
werden soll. Angehörige und Freunde der Geiseln riefen zu einer
Demonstration vor dem Amtssitz Netanjahus in Jerusalem auf.
Der Regierungschef wollte im Fernsehen eine Ansprache an die Nation
halten. Staatspräsident Isaac Herzog wollte am Dienstagmorgen zu
einer dreitägigen Fahrt zu den Kibbuzim und anderen Orten reisen, wo
die Massaker stattgefunden hatten. "Wir alle leiden noch immer, und
wir wollen der nationalen Trauer, den Tränen über die schreckliche
Katastrophe, die uns heimgesucht hat, Raum geben", teilte sein Büro
mit.
Schon vor dem Jahrestag Tausende Menschen bei Kundgebungen
In Rom kam es bei einer nicht genehmigten
Pro-Palästina-Demonstration zu teils heftigen Zusammenstößen
zwischen Demonstranten und Polizisten. In London beteiligten sich am
Samstag Zehntausende Menschen an einer propalästinensischen
Demonstration. In Berlin beteiligten sich am Samstag laut Polizei
weit über 1.000 Menschen an einem propalästinensischen Protestzug,
rund 650 kamen zu einer proisraelischen Versammlung.
Zentralrat: Hemmschwelle für Gewalt gegen Juden sinkt
Der Zentralrat der Juden sieht erhebliche Gefahren für jüdisches
Leben in Deutschland. "Die Hemmschwelle, zu Gewalt gegen Juden
aufzurufen und auch auszuüben, sinkt", sagte Zentralratspräsident
Josef Schuster der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist eine
erschütternde Entwicklung, die wir nicht einfach so hinnehmen
können." Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte den Jüdinnen und
Juden in Deutschland erneut volle Solidarität zu.
Israelische Armee setzt Angriffe im Libanon fort
Im Libanon setzte die israelische Armee ihre Angriffe gegen die
Hisbollah-Miliz fort. Die Luftwaffe habe in der Nacht "eine Serie
gezielter Angriffe" auf eine ganze Anzahl von Waffenlagern und
"terroristischen Infrastruktureinrichtungen" der Hisbollah im Raum
der Hauptstadt Beirut geflogen, teilte die Armee am Morgen mit. Bis
zum Morgen meldete die Staatsagentur NNA rund 25 Angriffe auf die
südlichen Vororte von Beirut, örtliche Medien berichteten ebenfalls
von massiven Attacken im Laufe der Nacht und am Morgen.
Das Gesundheitsministerium teilte mit, dass seit Beginn der neuen
Konfrontationen zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon vor
einem Jahr mehr als 2.000 Menschen getötet und nahezu 10.000 weitere
verletzt wurden. Das Ministerium unterscheidet dabei nicht zwischen
Zivilisten und Hisbollah-Kämpfern. Auch die Hisbollah beschoss nach
eigener Darstellung Israel mit Raketen und Drohnen.
Im Gazastreifen rückten israelische Panzerverbände in das Gebiet von
Dschabalia im Nordosten vor, wie die Armee mitteilte. Die Hamas habe
versucht, sich im Gebiet neu zu gruppieren. Alle Angaben beider
Seiten ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen./wn/DP/ngu
AXC0043 2024-10-06/16:12
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Autor: - dpa-AFX
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