ROUNDUP/Experten: Arzneiengpass nicht identisch mit Versorgungslücke |
11.10.2024 07:05:00 |
BERLIN (dpa-AFX) - In den vergangenen Wochen gab es wieder vermehrt
Berichte zu Engpässen bei Arzneimitteln und steriler Kochsalzlösung.
Zu beachten sei dabei, dass nicht jeder Engpass eine
Versorgungslücke bedeute, erklärte Ulrike Holzgrabe von der
Julius-Maximilians-Universität Würzburg. "Wenn bestimmte
Blutdruckmittel mal schwer zu bekommen sind, ist das kein
Versorgungsproblem." Es sei leicht möglich, auf andere Arzneimittel
auszuweichen.
Eine Versorgungslücke gebe es erst dann, wenn diese Möglichkeit
fehle. "Hochproblematisch sind zum Beispiel Engpässe bei
Antibiotika", erklärte die Seniorprofessorin für pharmazeutische und
medizinische Chemie. Ein Umstieg auf ein anderes Antibiotikum sei
immer nur die zweitbeste Therapie. Ebenfalls nur schwer zu ersetzen
seien Salbutamol zur Behandlung von Asthma oder Atomoxetin gegen
ADHS. "Beide Arzneien waren zuletzt von Engpässen betroffen."
Knapp 500 Medikamente betroffen
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
führt eine Datenbank, in die Hersteller Lieferengpässe für
versorgungskritische Arzneimittel eintragen. Ein Lieferengpass ist
laut BfArM eine über zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer
üblichen Auslieferung oder eine deutlich erhöhte Nachfrage, die das
Angebot übersteigt. Am 10. Oktober waren dort knapp 500 Medikamente
gelistet.
Damit habe sich die Zahl der Meldungen seit dem vergangenen Jahr
kaum verändert, sagte David Francas von der Hochschule Worms: Im
Juni 2023 seien es rund 480 Engpässe gewesen. Positiv zu vermerken
sei, dass der stetige Anstieg der Lieferengpässe seit 2017 aktuell
gebremst scheine. Auch Francas betonte, dass nicht jeder Engpass für
Patienten gleichermaßen bedeutsam sei.
Gesetz brachte bisher kaum Verbesserung
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im vergangenen
Jahr das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und
Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) auf den Weg gebracht, um
Engpässe systematisch zu bekämpfen und die Versorgungssicherheit zu
verbessern.
Dass sich danach rasch etwas ändert, sei von vornherein nicht zu
erwarten gewesen, sagte Holzgrabe. "Grundsätzlich sind die Probleme
von Lieferengpässen bekannt und ausreichend erforscht: In
Deutschland haben wir mit Rabatt- und Festbeträgen die Preise so
weit gedrückt, dass für viele Hersteller der deutsche Markt
schlichtweg nicht attraktiv ist."
Bei vielen für die Breitenversorgung wichtigen Medikamenten sei die
Preisschraube zu weit gedreht worden, ist auch Francas überzeugt.
"Der Zusammenhang zwischen niedrigem Preisniveau und schlechterer
Arzneimittelverfügbarkeit ist mittlerweile auch empirisch belegt."
Zudem entstünden immer mehr Monopole, bei denen ein Arzneistoff nur
noch von wenigen Herstellern produziert werde, ergänzte Holzgrabe.
"Wenn dann ein Hersteller aus welchen Gründen auch immer ausfällt,
und das können schlichtweg auch Naturkatastrophen nahe dem Werk
sein, haben wir schon ein Problem."
Zu strenge Regulierung?
Eine Ursache für wenig Produktion hierzulande seien sehr strikte -
und damit abschreckend wirkende - Richtlinien für Hersteller. "In
Deutschland dürfen Sie als Hersteller zum Beispiel in einem Werk nur
ein einziges Antibiotikum herstellen, nicht mehrere. Das ist in
China anders." Allerdings seien bei solchen aus China kommenden
Arzneistoffen auch Verunreinigungen bei Antibiotika zu sehen.
"Aber ich bin mir sicher, es gibt einen Mittelweg", ist die
Professorin überzeugt. Es sei jedenfalls sehr wichtig, von der
Abhängigkeit von Produzenten in Asien wegzukommen. "Das bisherige
System ist sehr festgefahren. Die EU hat aber einen ersten Vorstoß
unternommen und Arzneien ermittelt, die idealerweise auf jeden Fall
in Europa produziert werden sollten."
Nicht gleich mit dem Gießkannenprinzip zu arbeiten sei wichtig,
betonte Francas. Denn "eine unbequeme Wahrheit" sei auch, dass
entsprechende Maßnahmen mit deutlichen Kosten verbunden sind.
Import gegen Kochsalzlösungs-Engpass
Die aktuellen Lieferengpässe bei Kochsalzlösung will Lauterbach
durch Importe überbrücken. Er werde übergangsweise die
Voraussetzungen für den Import von Kochsalzlösungen als Arzneimittel
schaffen, teilte ein Sprecher mit. Kochsalzlösung ist unter anderem
für Infusionen und Operationen wichtig.
"Ich finde es kurios, dass das Thema jetzt hochkocht, denn wir
konnten schon im Frühjahr sehen, dass es zum Beispiel bei den
Kochsalzlösungen Probleme geben könnte", sagte Holzgrabe. Braun und
Fresenius , die beiden entscheidenden Hersteller,
hätten damals schon Schwierigkeiten gemeldet. "Kochsalzlösungen sind
für Operationen oder zur Herstellung von Medikamenten unersetzlich."
In diesem Fall sei derzeit tatsächlich von einem Versorgungsengpass
zu sprechen.
Die Ursachen sind wohl vielschichtig, wie Francas, Professor für
Daten- und Lieferkettenanalyse, erklärte. Es habe Schäden an einem
Werk in den USA durch den Hurrikan Helene gegeben, und davor schon
Engpässe bei Herstellern wegen Problemen mit Glasflaschen. Wegen der
globalen Vernetzung gebe es dann rasch weltweite
Auswirkungen./kll/DP/zb
ISIN DE000BAY0017 DE0006599905 US58933Y1055 FR0000120578 DE0005785604
AXC0042 2024-10-11/07:05
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Autor: - dpa-AFX
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