Großer Andrang bei Cum-Ex-Ermittlerin Brorhilker im Rathaus |
23.10.2024 22:40:00 |
HAMBURG (dpa-AFX) - Mehr als 500 Menschen sind am Abend zu einem
Auftritt der ehemaligen Cum-Ex-Chefanklägerin Anne Brorhilker ins
Hamburger Rathaus gekommen. Die frühere Kölner Oberstaatsanwältin,
die im April - verbunden mit scharfer Kritik an der aus ihrer Sicht
unzureichenden Aufarbeitung des Steuerskandals - um Entlassung aus
dem Staatsdienst gebeten hatte, war auf Einladung der Linken in der
Bürgerschaft nach Hamburg gekommen. Inzwischen ist sie bei der NGO
Finanzwende als Co-Geschäftsführerin tätig.
Der Große Festsaal des Rathauses war voll besetzt. "Wir mussten etwa
200 Leute wieder nach Hause schicken", sagte der Linken-Abgeordnete
Norbert Hackbusch, der für seine Fraktion im Parlamentarischen
Untersuchungsausschuss zur Cum-Ex-Affäre sitzt. Er kündigte an,
wegen des großen Interesses baldmöglichst eine zweite Veranstaltung
mit Brorhilker organisieren zu wollen.
Politik und Behörden machten es Cum-Ex-Betrügern leicht
Die 51 Jahre alte Juristin verurteilte die kriminelle Energie, mit
der Banker und Finanzinstitute durch Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte
den Staat um viele Milliarden Euro Steuergeld gebracht hätten. Der
Schaden durch Cum-Ex liege allein in Deutschland bei etwa zehn
Milliarden Euro. Durch Cum-Cum-Geschäfte sei der Staat um fast 30
Milliarden Euro betrogen worden, wovon bisher lediglich ein Prozent
zurückgeholt worden sei. Bei beiden "Geschäftsmodellen" ließen sich
Finanzakteure durch undurchsichtige Aktientransfers Steuern
erstatten, die zuvor gar nicht gezahlt worden waren.
Behörden und Politik hätten es den Tätern leicht gemacht. "Das
Entdeckungsrisiko war sehr gering, der Tatanreiz sehr, sehr hoch",
sagte Brorhilker. Auch komme den Tätern zugute, dass
Wirtschaftskriminalität in der Gesellschaft häufig noch weniger
geächtet sei als andere Verbrechen. "Wenn da mehr Stigmatisierung
stattfinden würde, dann wäre das sicher etwas, was den einen oder
anderen davon abhalten könnte."
Cum-Ex-Fall Warburg zeige zu viel Nähe zwischen Banken und Politik
Den Cum-Ex-Fall bei der Hamburger Warburg Bank nannte sie "ein sehr
plastisches Beispiel für zu viel Nähe zwischen Banken und Politik".
Aus den von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Tagebüchern des
Warburg-Gesellschafters Christian Olearius war hervorgegangen, dass
dieser 2016 und 2017 insgesamt dreimal vom späteren Bundeskanzler
und damaligen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im Rathaus
empfangen wurde - obwohl damals bereits wegen schwerer
Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften gegen
Olearius ermittelt wurde.
Der genaue Inhalt der Treffen ist unklar. Fakt ist aber, dass die
Finanzbehörde danach eine Steuerrückforderung über 47 Milliarden
Euro fallen und diese nach Ansicht der an der Entscheidung
Beteiligten in die Verjährung laufen ließ. Weitere 43 Millionen Euro
wurden 2017 erst auf Weisung des Bundesfinanzministeriums kurz vor
Eintritt der Verjährung eingefordert.
Dass ein kausaler Zusammenhang zwischen den Scholz-Olearius-Treffen
und der Behördenentscheidung besteht, ist nicht erwiesen. Scholz
schließt eine Einflussnahme aus, beruft sich bei der Frage nach dem
Inhalt der Gespräche aber auf Erinnerungslücken.
Brorhilker: Cum-Ex funktioniert nur über Netzwerke
Cum-Ex funktioniere nur über Netzwerke, sagte Brorhilker. "Und
deshalb glaube ich, dass der Hamburger Fall ein sehr typischer ist."
Zu ihren früheren Ermittlungen als Staatsanwältin äußerte sie sich
aufgrund der Verschwiegenheitspflicht nicht. Brorhilker galt als
wichtigste Ermittlerin im Cum-Ex-Steuerskandal. In rund 120
Verfahren wurde in Köln unter ihrer Führung gegen 1.700 Beschuldigte
ermittelt./fi/DP/he
AXC0301 2024-10-23/22:40
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Autor: - dpa-AFX
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