ROUNDUP: Kanzler-Vorstoß für weniger Mehrwertsteuer auf Lebensmittel |
11.12.2024 14:06:00 |
BERLIN (dpa-AFX) - Kanzler Olaf Scholz schlägt angesichts weiter
steigender Preise in den Supermärkten eine Senkung des ermäßigten
Mehrwertsteuersatzes für Lebensmittel von 7 auf 5 Prozent vor. "Das
würde ganz vielen, die wenig Geld verdienen, helfen, und es wäre für
den Bundeshaushalt keine übermäßige Belastung", sagte der
SPD-Politiker in den ARD-"Tagesthemen". Von Handel und Opposition
kam Kritik, Verbrauchervertreter begrüßten die Stoßrichtung.
Lebensmittel waren lange Treiber der inzwischen abgeschwächten
Inflation.
Vorstoß in Wahlkampfzeiten
Mit seinem überraschenden Vorstoß im anlaufenden Bundestagswahlkampf
facht der Kanzler die schon länger schwelende Debatte über breite
Entlastungen wieder an. Wichtig sei, "dass wir etwas sehr
Überschaubares machen, was jeder beim täglichen Bedarf jeden Tag
merkt" - nämlich an der Supermarktkasse. "Da sind einige schon ganz
schön erstaunt, was da an Geld zusammenkommt für den Korb, den sie
da gefüllt haben."
Tatsächlich sind die Preise für viele Nahrungsmittel lange stärker
gestiegen als die allgemeine Inflation. Zwischen 2020 und 2023
verteuerten sie sich laut Statistischem Bundesamt insgesamt um mehr
als 30 Prozent. Im November schwächte sich der Preisauftrieb
allerdings ab. Die Preise für Nahrungsmittel lagen noch um 1,8
Prozent höher als ein Jahr zuvor - bei einer Teuerung von insgesamt
2,2 Prozent. Deutlich teurer im Vergleich zu November 2023 waren zum
Beispiel Butter (plus 38,9 Prozent) und Olivenöl (plus 13,3
Prozent).
Ermäßigter Steuersatz für viele Lebensmittel
Über die Mehrwertsteuer als Stellschraube wird immer wieder
diskutiert. Aktuell greift für viele auf Lebensmittel der ermäßigte
Steuersatz von 7 Prozent. Dazu gehören etwa Zucker, Mehl,
Kartoffeln, Gemüse und Obst, Tee und Kaffee, Nüsse, Milch und
Milchprodukte sowie Fleisch, Fisch, rohe Eier und Honig. Für
verarbeitete Produkte und Getränke gilt der reguläre Satz von 19
Prozent. Dabei gibt es an den Einordnungen auch Kritik: So seien für
einen "Coffee to go" mit einem Schuss Milch 19 Prozent fällig,
erläuterte der Bundesrechnungshof - für Latte Macchiato mit
aufgeschäumter Milch und Espresso aber 7 Prozent.
Zuletzt lief Ende 2023 eine zeitweilige Senkung auf den ermäßigten
Steuersatz von 7 Prozent auf Speisen in der Gastronomie aus.
Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) regte zwischenzeitlich eine
leichte Anhebung des ermäßigten Satzes von 7 Prozent auf Fleisch an,
um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Ein vom Bundestag
eingesetzter Bürgerrat schlug unter anderem null Prozent Steuer für
Obst und Gemüse aus der EU in Bio-Qualität vor. Konkret umgesetzt
wurde in der Ampel-Koalition von Scholz aber nichts davon.
Kritik von Union und Wirtschaft
Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) sprach prompt von einem
"billigen Wahlkampfköder". Sinnvoll wäre "eine zielgenaue Entlastung
von Geringverdienern bei Steuern und auch bei Sozialabgaben, die
verlässlich ankommt und das Arbeiten im Verhältnis zum
Bürgergeldbezug lohnender macht". Der Generalsekretär des
Bauernverbands, Bernhard Krüsken, sagte der "Rheinischen Post", eine
Mehrwertsteuersenkung wäre dann sinnvoll, wenn sie für alle
Lebensmittel erfolge. "Das würde Verbrauchern und Landwirten
helfen."
Inwiefern eine Senkung bei den privaten Haushalten ankäme, ist
umstritten. Jedes Unternehmen entscheide für sich, ob es eine
Steuerersparnis weitergebe - ob die Endverbraucher profitierten, sei
daher ungewiss, erläuterte etwa der Bundesrechnungshof. FDP-Vize
Wolfgang Kubicki schrieb auf der Plattform X mit Blick auf mögliche
Effekte: "Macht pro Person im Schnitt 3-4 Euro Entlastung im Monat."
Zu berechnen wäre auch das Gesamtvolumen. Nach Angaben des
Finanzministeriums von 2023 lag das Mehrwertsteueraufkommen aus
ermäßigt besteuerten Lebensmitteln bei geschätzt 16,5 Milliarden
Euro.
Unterschiedliche Effekte je nach Einkommen
Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für
Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftlichen
Hans-Böckler-Stiftung, hält eine Senkung der Mehrwertsteuer nicht
für sinnvoll. Menschen mit höheren Einkommen würden dabei absolut
gesehen sogar stärker profitieren. "In Euro gerechnet wäre die
Entlastung für das Kilo französischen Käse aus dem
Feinschmeckergeschäft höher als für den abgepackten Scheibengouda."
Laut Dullien würde ein Zweipersonenhaushalt, der 450 Euro im Monat
für Lebensmittel zum reduzierten Steuersatz ausgibt, durch die
Maßnahme etwa 8 Euro im Monat sparen. Allerdings nur, wenn die
Steuersenkung vom Handel vollständig in niedrigeren Preisen
weitergegeben werde. "Die Mittel für eine Mehrwertsteuersenkung auf
Lebensmittel könnte man zielgenauer für eine Erhöhung des
Kindergeldes einsetzen", so der Ökonom.
Forderung nach null Prozent Steuer
Der Handelsverband Deutschland lehnte den Vorschlag des Kanzlers ab.
"Absenkungen der Mehrwertsteuer sind Entlastungen mit der Gießkanne,
das ist nicht zielgenau", sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.
Das Mehrwertsteuerrecht sei bereits kompliziert. Die Verwaltung sei
mit Kosten von ein bis vier Prozent des Umsatzes für die Unternehmen
schon teuer genug. Kämen neue Absenkungen hinzu, stiegen die Kosten
weiter.
Für den Sozialverband VdK geht der Kanzler-Vorschlag in die richtige
Richtung, aber noch nicht weit genug. "Durch die nach wie vor hohe
Inflationsrate, vor allem bei Lebensmitteln, kommen immer mehr
Menschen an ihre finanziellen Grenzen", sagte Präsidentin Verena
Bentele. Geringverdienende, arme Rentner und
Grundsicherungsempfänger litten besonders darunter. Der VdK forderte
daher, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel auf null Prozent
zu senken. Dafür hatte sich 2023 etwa auch CSU-Chef Markus Söder
ausgesprochen./sam/cr/axr/sl/DP/jha
AXC0173 2024-12-11/14:06
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Autor: - dpa-AFX
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