| ROUNDUP 2: 'Stahlgipfel' beim Bundeskanzler - darum ging es |
| 06.11.2025 16:26:00 |
(neu: mit Statements nach dem Gipfel)
BERLIN (dpa-AFX) - Die deutsche Stahlindustrie ist laut
Bundeskanzler Merz in einer "existenzbedrohenden Krise" - ein
"Stahlgipfel" im Kanzleramt soll helfen: Was kann die Politik tun,
damit die Unternehmen auch in Zukunft in Deutschland mit Stahl Geld
verdienen können? Wie kann die Stahlproduktion gleichzeitig
klimafreundlicher werden? Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte
dazu die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Stahlindustrie,
Vertreter von Unternehmen und Arbeitnehmern sowie Kabinettskollegen
zu einem Austausch darüber eingeladen.
Wie lief der "Stahlgipfel" ab?
Die Besetzung zeigt, wie wichtig die Bundesregierung den
"Stahlgipfel" nahm: Neben Merz waren auch Vizekanzler und
Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), Wirtschaftsministerin Katherina
Reiche (CDU) sowie Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) dabei. Mehr
als zwei Stunden - und damit länger als geplant - sprachen die
Politikerinnen und Politiker aus Bund und Ländern mit Vertretern von
Unternehmen, Arbeitnehmern und der Gewerkschaft IG Metall.
Was kam beim Stahlgipfel raus?
Laut Bundeskanzler Merz eine große Einigkeit darüber, was zu tun
ist. Der Kanzler ging nach dem Treffen auf drei Bereiche näher ein:
So brauche die Stahlindustrie einen wirksamen Außenhandelsschutz
unter anderem wegen umgeleiteter Warenströme aus China, die wegen
der US-Zölle die Märkte überschwemmen. Nötig sei auch eine Senkung
der Energiepreise. Er verwies auf die Absicht der Bundesregierung,
einen Industriestrompreis einzuführen. Darüber wird aber noch mit
Brüssel verhandelt. Man müsse schließlich dafür sorgen, dass bei der
Beschaffung europäischer Stahl präferiert werde. "Wir müssen unsere
Märkte schützen und unsere Hersteller schützen", so der Kanzler.
Auch andere Teilnehmer zogen eine positive Bilanz und betonten die
Übereinstimmungen. IG Metall-Vize Jürgen Kerner sprach beim Thema
Strompreisentlastungen von einem "klaren Signal, dass wir mit einer
geeinten Stimme in Brüssel auftreten, und zwar nicht nur die
Regierung, die Ministerpräsidenten, sondern auch wir als
Sozialpartner das mit unterstützen".
Welche Rolle spielt die Stahlindustrie in Deutschland?
Eine zentrale Rolle, weil für sehr viele Produkte Stahl benötigt
wird. Dies gilt etwa für den Autobau, die Bauindustrie und den
Maschinenbau. Aber auch Haushaltsgeräte kommen nicht ohne aus. Stahl
ist nicht gleich Stahl: Die Firmen bieten mehr als 2.500 Stahlsorten
an - etwa für Drähte, Bleche, Stangen, Rohre oder Schienen.
Etwa 80.000 Menschen sind direkt in der stahlerzeugenden Branche
beschäftigt. Große Firmen sind etwa Thyssenkrupp
Steel, Salzgitter, ArcelorMittal , Dillinger und
Saarstahl. In der nächsten Stufe der Wertschöpfungskette arbeiten
laut Branchenverband Wirtschaftsvereinigung Stahl rund vier
Millionen Menschen in sogenannten stahlintensiven Branchen.
Gut 37 Millionen Tonnen Rohstahl wurden 2024 in Deutschland erzeugt.
Die Menge lag das dritte Jahr in Folge unter der 40-Millionen-Marke,
ab der die Branche von einer Rezession spricht. Der meiste Stahl
wird in Duisburg produziert.
In Europa ist Deutschland der mit Abstand größte Rohstahlproduzent.
2024 wurde mehr als ein Viertel der EU-Produktion (knapp 130
Millionen Tonnen) hierzulande produziert. Weltweit liegt deutscher
Stahl mengenmäßig auf Platz 7. Den Spitzenplatz belegte 2024 mit
großem Abstand China mit 1.005 Millionen Tonnen vor Indien (149
Millionen Tonnen).
Was sind die drängendsten Probleme?
Die Branche klagt über unfaire Wettbewerbsbedingungen. "Massiv
zunehmende und oft unfair subventionierte Importe drängen auf den
EU-Markt", heißt es beim Branchenverband. Jede dritte in der EU
eingesetzte Tonne Stahl komme inzwischen aus Drittstaaten. Zum
anderen machen hohe Energiepreise den Firmen schwer zu schaffen.
Schließlich hat sich in den vergangenen Jahren auch die
Konjunkturschwäche ausgewirkt. Seit 2017 ist laut Branchenverband
das Marktvolumen um rund ein Drittel gesunken. Hinzu kommen
Milliarden-Kosten für die Umstellung der Produktionsverfahren
Richtung Klimaneutralität.
Warum soll die Stahlherstellung klimafreundlicher werden?
Weil die Stahlindustrie extrem viel klimaschädliches Kohlendioxid
ausstößt. Etwa sieben Prozent der gesamten CO2-Emissionen in
Deutschland gehen auf das Konto der Branche. Verantwortlich ist
dafür vor allem die klassische Roheisenerzeugung in Hochöfen, bei
der sehr viel Kohlenstoff etwa in Form von Koks benötigt wird. Er
sorgt für Hitze und entzieht dem Eisenerz den Sauerstoff, was
Reduktion genannt wird. Derzeit werden rund 70 Prozent des Roheisens
in Hochöfen gewonnen. Für die übrigen 30 Prozent wird Schrott in
großen, elektrisch betriebenen Öfen eingeschmolzen.
Kann man Stahl auch klimafreundlicher herstellen?
Ja. Vor allem, indem ein Verfahren angewendet wird, bei dem anstatt
Kohle und Koks idealerweise klimafreundlich hergestellter
Wasserstoff zum Einsatz kommt. Abfallstoff ist dann nicht
Kohlendioxid, sondern Wasser. Die Anlagen heißen nicht Hochöfen,
sondern Direktreduktionsanlagen.
Problem: Benötigt werden riesige Mengen Wasserstoff, die aber noch
nicht verfügbar sind. Übergangsweise sollen neue Anlagen daher mit
Erdgas betrieben werden, wie ArcelorMittal es schon seit Langem in
einer Anlage in Hamburg macht. Neue, mit staatlichen
Milliardenhilfen geförderte Anlagen sind in Bau, etwa in Duisburg
und Salzgitter. Auch der verstärkte Einsatz von Wind- und
Sonnenstrom in den Elektroöfen hilft, den Treibhausgas-Ausstoß zu
verringern.
Die Bundesregierung ging in einer Presseerklärung zum Stahlgipfel
näher auf das Thema Wasserstoff ein. Man wolle den Hochlauf der
Wasserstoffwirtschaft pragmatisch voranbringen, heißt es darin. "Für
die Dekarbonisierung der Stahlindustrie zu einer klimafreundlichen
Produktion muss bezahlbarer Wasserstoff in ausreichenden Mengen
verfügbar sein." Man wolle außerdem einen rascheren Ausbau des
Wasserstoffkernnetzes vorantreiben, "damit Anlagen zur
Stahlherstellung möglichst schnell und in den vereinbarten
Zeitplänen angeschlossen werden".
Was kann die Politik überhaupt tun?
Schon vor dem Stahlgipfel war klar, dass die Bundesregierung die
Branche stützen will - auch, weil Deutschland ohne eigenständige
Stahlindustrie abhängig wäre von Ländern wie China. Zum einen soll
die sogenannte Strompreiskompensation über 2030 hinaus verlängert
werden, wie Wirtschaftsministerin Reiche ankündigte. Dabei werden
Firmen indirekt von Kosten des CO2-Emissionshandels entlastet.
Zudem soll am 1. Januar 2026 ein Industriestrompreis eingeführt
werden. Durch staatliche Subventionen soll der Strompreis für
energieintensive Unternehmen spürbar sinken. Nach EU-Vorgaben ist es
bisher faktisch nicht möglich, dass Unternehmen von beiden Hilfen
profitieren, also der Strompreiskompensation und dem
Industriestrompreis. Die Bundesregierung will dies ändern:
Industriestrompreis und Strompreiskompensation sollen laut
Finanzminister Klingbeil "zusammenwirken".
Bereits beschlossen sind zudem Entlastungen bei den
Strom-Netzentgelten 2026 - wobei die Stahlbranche auf eine
dauerhafte Senkung pocht. Mehr Flexibilität könnte es beim Einsatz
von Wasserstoff geben. Angestrebt wird eigentlich "grüner"
Wasserstoff, der auf Basis erneuerbarer Energien hergestellt wird.
Dieser ist aber noch sehr teuer und nicht im ausreichenden Maß
vorhanden. Deswegen könnte zunächst "blauer" Wasserstoff zum Einsatz
kommen, der aus Erdgas hergestellt wird.
Viele wichtige Maßnahmen kann die Bundesregierung aber nicht alleine
beschließen - weil sie auf EU-Ebene entschieden werden. Dabei geht
es vor allem um Handelspolitik.
Höhere Zölle zum Schutz der EU-Stahlindustrie im Gespräch
Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die heimische Stahlindustrie
mit deutlich höheren Zöllen vor billiger Konkurrenz aus Ländern wie
China zu schützen. Zudem soll die Menge für zollfreie Importe nahezu
halbiert werden. Konkret soll der Zollsatz für Importe, die darüber
hinausgehen, auf 50 Prozent verdoppelt werden. Das könnte
Auswirkungen haben auf die schwierigen Verhandlungen mit den USA,
die für Stahl und Aluminium Importzölle von 50 Prozent erheben.
Finanzminister Klingbeil fordert zudem ein vollständiges Ende aller
Stahlimporte aus Russland. Noch immer seien Stahlbrammen, die in
Russland produziert und in der EU weiterverarbeitet werden, von
Sanktionen ausgenommen. "Das kann ich niemandem erklären, dass wir
auf der einen Seite nach finanziellen Möglichkeiten suchen, die
Ukraine weiter zu unterstützen und auf der anderen Seite, obwohl der
heimische Stahlmarkt das leisten könnte, wir trotzdem noch die
Brammen aus Russland importieren. Das muss beendet werden", sagte er
nach dem "Stahlgipfel"./tob/DP/nas
ISIN DE0007500001 DE0006202005 LU1598757687
AXC0311 2025-11-06/16:26
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Autor: - dpa-AFX
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