| ROUNDUP: Reiche will Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik |
| 10.11.2025 17:05:00 |
Im Zeichen Ludwig Erhards:
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche schlägt angesichts der
langen Wachstumsschwäche eine grundlegende Neuausrichtung der
Wirtschaftspolitik vor. Die CDU-Politikerin sprach von einer "Agenda
2030". "Die Lage ist ernst, wirtschaftspolitisch ebenso wie
sicherheitspolitisch", sagte Reiche in einer Grundsatzrede in
Berlin. Deutschland drohe international den Anschluss zu verpassen
und brauche ein umfassendes "Fitnessprogramm" - nach dem Prinzip:
mehr Wettbewerb, weniger Staat.
Im Geiste Erhards
Reiche hielt ihre Rede auf einem Symposium ihres Ministeriums zur
Sozialen Marktwirtschaft. Dabei wurde von den Leihgebern eine
Ludwig-Erhard-Büste ans Ministerium zurückgegeben. Die Büste stand
jahrelang im Foyer des Ministeriums. Dann wurde sie vor zwei Jahren
entfernt - aus Protest gegen die Politik des damaligen Ministers
Robert Habeck (Grüne).
Der legendäre Erhard, Wirtschaftsminister von 1949 bis 1963, steht
wie kein anderer für das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten
Weltkrieg, verbunden mit "Wohlstand für alle" und dem Konzept der
Sozialen Marktwirtschaft. Reiche will nun eine zeitgemäße
Ordnungspolitik.
Staat soll sich zurückziehen
"Damit der Staat Handlungsfähigkeit zurückgewinnt, muss er sich auf
seine Kernaufgaben konzentrieren", sagte Reiche. Dazu zählten innere
und äußere Sicherheit, Infrastruktur und Bildung. "Subventionen und
Förderprogramme müssen hingegen rigoros überprüft, Fehlanreize auch
unter Schmerzen abgebaut werden." Reiches Ideen stehen damit der
Subventionspolitik Robert Habecks entgegen, der einzelne Konzerne
etwa bei Halbleitern oder Batterien unterstützte.
In diesem Zusammenhang deutete die Ministerin Einschnitte bei der
Heizungsförderung an. Beim Heizungstausch werde künftig mehr
Eigenverantwortung gefragt sein. Sie bekräftigte ihr Ziel, in der
Energiepolitik insgesamt die Kosten zu senken und sie
marktwirtschaftlicher auszurichten. Dazu gehöre, dass
Fördermaßnahmen effizienter ausgerichtet und im Zweifel auch stärker
zugeschnitten werden sollten auf die Fälle, bei denen es tatsächlich
auf die Förderung ankomme.
Große Umbrüche
Die Wirtschaftsministerin sprach in ihrer Rede mit Blick auf
geopolitische Veränderungen und tiefgreifenden technologischen
Veränderungen von radikalen Umbrüchen. Gemeint ist zum einen der
wirtschaftliche Aufstieg Chinas und die Abhängigkeiten von
Rohstoffen, zum anderen der Kurs der USA mit höheren Zöllen oder die
Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Nach zwei Jahren in der Rezession wird für die deutsche Wirtschaft
für das laufende Jahr eine Stagnation erwartet, im kommenden Jahr
soll es leicht bergauf gehen. Reiche sagte aber, Deutschland kämpfe
mit zahlreichen hausgemachten Standortproblemen und drohe
international den Anschluss zu verpassen. Sie wählte große Worte: Es
gehe um Erhalt von Wohlstand und um den Schutz von Freiheit und der
Demokratie.
Reiche sieht Chance für wirtschaftliches Comeback
Die Ministerin sieht Deutschland in einer strukturellen Krise, wie
es sie in der Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft noch nicht
gegeben habe. Auch Wirtschaftsverbände beklagen seit langem Probleme
wie im internationalen Vergleich hohe Energiepreise, steigende
Sozialabgaben und zu viel Bürokratie.
Deutschland habe die Voraussetzungen für ein wirtschaftliches
Comeback, sagte Reiche. Sie schlägt eine "Agenda für Wachstum und
Wettbewerbsfähigkeit" vor. Regulierung müsse zurückgefahren werden.
"Die staatliche Steuerung bis ins kleinste Detail muss ein Ende
haben." Für Firmen müssten mehr Freiräume geschaffen werden.
Leitlinie sei die Rückbesinnung auf mehr wirtschaftliche Freiheit
und Eigenverantwortung.
Der Staat könne die Bürgerinnen und Bürger und vor allem die
Unternehmen nicht vor allen Risiken schützen. Die Verwaltung müsse
digitaler werden. Künstliche Intelligenz müsse als Chance für
Wachstum begriffen werden. Es gehe um eine innovationsfreundliche
Regulierung, auch beim Datenschutz. In der Energiepolitik müssten
Kosten gesenkt werden.
Mut zu Sozialreformen
Reiche bekräftigte die Notwendigkeit von Reformen des Sozialstaats.
Sie sprach sich erneut für eine längere Lebensarbeitszeit aus -
dafür war sie bereits kritisiert worden. Zudem müsse man fragen, ob
mit der Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag falsche Anreize
gesetzt werden. Reiche sagte, es brauche mehr Reformen, um das
Arbeiten im Alter gegenüber einem frühzeitigen Eintritt in den
Ruhestand attraktiver zu gestalten.
Man müsse den Mut haben, Reformen umzusetzen, auch gegen
Widerstände, sagte Reiche. Ob und welche tiefgreifenden Reformen
etwa bei der Rente und der Pflege geben soll, ist in der
schwarz-roten Koalition umstritten.
Vorbild "Agenda 2010"?
Die Ministerin nahm auch Bezug zur "Agenda 2010". Mit dieser sei
eine neue Dynamik erlangt worden, sagte Reiche. "Wenn es darauf
ankommt, sind Veränderungen in diesem Land möglich." Mit der "Agenda
2010" setzte vor zwanzig Jahren der damalige Kanzler Gerhard
Schröder (SPD) tiefgreifende Reformen in der Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik durch. Diese waren allerdings heftig umstritten.
Reiche ist seit Mai im Amt. Sie war lange Bundestagsabgeordnete und
wechselte dann in die Wirtschaft. Vor ihrer Ernennung zur Ministerin
war sie Energiemanagerin./hoe/DP/nas
AXC0204 2025-11-10/17:05
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Autor: - dpa-AFX
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