| Die andere Geschichte Russlands - Memorial öffnet Archiv |
| 26.12.2025 15:40:00 |
Nach Einschätzung der russischen Bürgerrechtlerin
Irina Scherbakowa ist Russland unter Kremlchef Wladimir Putin
weniger stabil als die frühere Sowjetunion. Das sowjetische System
sei am Ende morsch und unglaubwürdig gewesen, doch es habe klare
Regeln für die Staatsführung, die Kommunistische Partei und die
Verwaltung gegeben, sagte die Mitbegründerin der
Menschenrechtsorganisation Memorial in Berlin. "Das hat Putin alles
nicht."
Dessen System sei autoritär und richte sich "nach dem Mafia-Prinzip,
nach der persönlichen Treue", sagte Scherbakowa (76) der Deutschen
Presse-Agentur. Alles hänge an Putin (73). "Und das kann dazu
führen, dass, wenn irgendetwas mit dieser Person geschieht, alles
anfängt zu zerfallen."
Scherbakowa: Putins Macht hat noch Kapazitäten
Sie rechne aber auch nach fast vier Jahren Angriffskrieg gegen die
Ukraine nicht mit einem raschen Zusammenbruch von Putins Herrschaft.
"Die Krise wird immer stärker, trotzdem hat das Land noch
Kapazitäten, und die Macht hat Kapazitäten. Der Sicherheitsapparat
ist sehr stark."
Zu Putins Propaganda gehöre ein Umschreiben der Geschichte, eine
Verklärung einer angeblich heroischen russischen Vergangenheit,
sagte Scherbakowa. Dagegen setze Memorial trotz des Verbots 2021 in
Russland "die Aufarbeitung der Geschichte der politischen
Repressionen und des Widerstandes" fort.
Größtes Archiv zum sowjetischen Staatsterror
Die Arbeit von Memorial, 2022 mit dem Friedensnobelpreis geehrt,
ändere sich im Exil, sagte Scherbakowa. Sie selbst musste Moskau
kurz nach Kriegsbeginn verlassen und ist in Deutschland Vorsitzende
des Vereins Zukunft Memorial. Die Bürgerrechtsorganisation verfüge
über das größte nicht-staatliche Archiv zur politischen Verfolgung
in der Sowjetunion, zum Lagersystem, zu den Tätern, zu den Kriegen
in Tschetschenien und Georgien, sagt sie. "Und wir möchten, dass
Menschen Zugang zu unseren Dokumenten und Materialien bekommen."
Das russische Archiv mit mehreren Millionen Namen und
Hunderttausenden Dokumenten soll weiter digitalisiert und
erschlossen werden. Daneben ist eine Multimedia-Plattform auf
Deutsch, Russisch und Englisch geplant. Das Projekt "Lanterna" (dt.
Laterne) soll die Erfahrungen mit dem sowjetischen und russischen
Staatsterror in Einzelschicksalen für ein junges Publikum erzählen.
Über die russische Erfahrung hinausgehen
Auch soll "Lanterna" über das russische Beispiel hinausreichen. "Es
ist uns wichtig, daraus ein internationales Gespräch zu machen",
sagt Filipp Dzyadko, der bei Zukunft Memorial zuständig für das
Projekt ist. So werde es auch um die Aufarbeitung von Diktatur in
Deutschland, Argentinien, Südafrika und anderen Ländern
gehen./fko/DP/he
AXC0045 2025-12-26/15:40
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Autor: - dpa-AFX
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