| ROUNDUP: Drei Euro pro Praxisbesuch? Breite Ablehnung |
| 29.12.2025 15:11:00 |
Angesichts steigender Kosten im Gesundheitswesen
flammt die Debatte über Extra-Gebühren für Patienten in Praxen und
Kliniken wieder auf. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
(KBV), Andreas Gassen, forderte eine "Kontaktgebühr" von drei oder
vier Euro für Praxisbesuche. Von Patientenvertretern, Krankenkassen,
der Opposition und der mitregierenden SPD kam umgehend scharfer
Widerspruch. Das Bundesgesundheitsministerium verwies auf erwartete
Vorschläge einer Reformkommission im neuen Jahr.
Gassen sagte der "Bild", statt einer früher einmal erhobenen
Praxisgebühr könnte es künftig als Eigenbeteiligung bei Arztbesuchen
eine Kontaktgebühr geben. "Sie könnte, wie zum Beispiel in Japan,
bei drei oder vier Euro liegen und sollte von den Krankenkassen
eingezogen werden." Ein Sprecher von Gesundheitsministerin Nina
Warken (CDU) sagte, man könne mit Sicherheit davon ausgehen, dass
über solche Vorschläge in der Kommission debattiert werde. Einzelne
Maßnahmen kommentiere man derzeit jedoch nicht.
Auch Arbeitgeber für neue Gebühr
Forderungen nach neuen Gebühren, die auch die Zahl der Arztbesuche
senken sollen, kommen bereits von mehreren Seiten. So schlug die
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) eine
"Kontaktgebühr bei jedem Arztkontakt" vor. Dies würde eine bessere
Steuerungswirkung entfalten als die einstige allgemeine
Praxisgebühr. Die Zahl unnötiger Arztbesuche und "Ärzte-Hopping"
könnten vermieden und damit Wartezeiten verkürzt und Praxen
entlastet werden, hieß es in einem BDA-Positionspapier von Oktober.
Eine generelle Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal hatte es für
gesetzlich Versicherte von 2004 bis 2012 gegeben. Sie brachte rund
zwei Milliarden Euro pro Jahr ein. Auch viele Ärztinnen und Ärzte
kritisierten aber den Aufwand, die Gebühr am Praxistresen
einzukassieren. Gassen sprach sich denn auch "statt einer
Praxisgebühr" für eine Gebühr aus, die die Kassen einziehen. Sie
müsse zudem "sozial verträglich gestaltet werden, damit niemand
überfordert wird".
Patienten schon "Melkkühe der Nation"
Der Sozialverband Deutschland wies die Forderung als unsolidarisch
und sozial ungerecht zurück. "Sie würde besonders chronisch kranke
Menschen und Menschen mit geringem Einkommen treffen, die auf eine
verlässliche medizinische Versorgung angewiesen sind", sagte
Vorstandschefin Michaela Engelmeier. Der Vorstand der Deutschen
Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte: "Patienten und
gesetzlich Krankenversicherte sind schon jetzt die Melkkühe der
Nation." Er monierte, dass bei steigenden Einnahmen der Praxen "für
gute oder schlechte Leistung das gleiche Geld bezahlt" werde.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen nannte
stete Rufe nach einer Extra-Gebühr nur dafür, überhaupt Kontakt zu
einem Arzt oder einer Ärztin zu haben, ein Ablenkungsmanöver. "Statt
über Reformen zu sprechen, die dann auch die Ärzteschaft betreffen
würden, wird auf die Patientinnen und Patienten verwiesen", sagte
Sprecher Florian Lanz. Der Grünen-Fachpolitiker Janosch Dahmen sagte
der "Rheinischen Post", jede Gebühr bedeute Abrechnung, Kontrolle,
Ausnahmen und Streitfälle. Das belaste Praxen, die am Limit
arbeiten, und schaffe neue Verwaltungskosten, statt Probleme zu
lösen.
Koalition will gezieltere Terminvergabe - mit Anreiz?
Der SPD-Gesundheitsexperte Christos Pantazis kritisierte, eine
pauschale Gebühr sei unsozial und ineffektiv. "Sie schreckt nicht
"unnötige" Arztbesuche ab, sondern vor allem Menschen mit geringem
Einkommen, chronisch Kranke und ältere Patientinnen und Patienten",
sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Ablehnung kommt auch
vom Verband der Hausärztinnen und Hausärzte. Die Co-Vorsitzende
Nicola Buhlinger-Göpfarth sagte den Funke-Zeitungen, damit doktore
man nur an Symptomen herum. Sie warnte, sozial Schwache könnten
notwendige Termine aus Angst vor Kosten aufschieben.
Pantazis wies auf die von Union und SPD geplante Einführung eines
Systems hin, bei dem Patienten primär in eine Hausarztpraxis gehen,
die sie bei Bedarf - und mit einem Termin in einem bestimmten
Zeitraum - an Fachärzte überweist. Diese "positive Steuerung" sei
wirksamer und fairer. Warken hatte kürzlich erläutert, dass es für
einen gezielteren Termin-Zugang "Steuerungselemente" brauchen werde.
Dies könne ein Bonus sein, wenn man sich daran hält oder eine
Gebühr, wenn man doch direkt zum Facharzt geht. Warken machte aber
deutlich, dass es keine allgemeine Praxisgebühr wie früher bedeuten
soll.
Höhere Zuzahlung bei Klinikaufenthalten?
Von den Kliniken kommen ebenfalls Forderungen nach mehr
Eigenbeteiligung. Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft,
Gerald Gaß, sagte der "Bild": "Die Zuzahlung bei
Krankenhausaufenthalten sollte verdoppelt werden: von zehn auf 20
Euro am Tag. Das ist angemessen." Das bringe den Kassen rund 800
Millionen Euro im Jahr. Auch wer künftig ohne Kontaktaufnahme und
Beratung durch eine Leitstelle in Notfallzentren der Krankenhäuser
komme, sollte dafür eine Gebühr bezahlen. "Ich finde 30 bis 40 Euro
angemessen", sagte er.
Regierung plant große Reform
Die Bundesregierung will im neuen Jahr eine große Reform der
gesetzlichen Krankenversicherung angehen. Sie soll den starken
Ausgabenanstieg für die Versorgung begrenzen und weitere
Beitragsanhebungen vermeiden. Die Expertenkommission soll bis März
Vorschläge zur Stabilisierung ab dem Jahr 2027 vorlegen. Bis Ende
2026 sollen weitergehende Reformvorschläge folgen./sam/bg/DP/nas
AXC0096 2025-12-29/15:11
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Autor: - dpa-AFX
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